Über 2 Jahre beobachte ich nun diese Branche von außen. Vorher voll integriert als DJ, Moderator und Branchenfachmann sehe ich die Schlagerbranche (vorwiegend hier im Ruhrgebiet) nun aus einer etwas anderen Perspektive. Viel neutraler und nicht von wirtschaftlichen Interessen gesteuert kann ich diese ekelhaften Angewohnheiten mancher Möchtegern-Stars und -Fachleute deutlicher erkennen denn je.

Ich würde soweit gehen und behaupten, dass es die 7 schlimmsten “Krankheiten” in dieser Branche sind, die jedem Newcomer und jedem einigermaßen guten Sänger jegliche Chance verbauen. Schauen wir uns diese Krankheiten mal im Detail an. Eine Anmerkung sei noch erwähnt: Wenn ich hier vom deutschen Popschlager spreche, dann meine ich zunächst mal den Popschlager, der vorwiegend im Ruhrgebiet und Rheinland zu Hause ist.

1. Jeder kann und jeder will

Dies ist meines Erachtens nach die größte Problematik. Jeder, der will, kann mit einfachsten Mitteln und mit einem billigen Aldi-PC mp3-Songs erstellen und mit einem USB-Mikrofon den eigenen – leider oft schlechten – Gesang aufzeichnen. Und noch schlimmer: Es finden sich zahlreiche sog. Internet-Radios, die diesen Schrott dann auch noch spielen und aus Lieschen Müller von der Kasse eines Discounters in nullkommanix eine “Schlagersängerin mit Charterfolgen” macht.

Wohlgemerkt, die Charts des betreffenden Radios, die niemanden interessieren und auch niemand zur Kenntnis nimmt, außer der Server, auf dem diese gespeichert werden. Wenn Du Schlagersänger werden willst, dann kannst Du das morgen tun. Du wirst sogar noch den ein oder anderen “Produzenten” finden, der Dir Deine Songidee in einen Sound verpackt. Für 150-300 Euro. Das hat direkt einen Grund, warum das nicht funktioniert: DU!

2. Neid & Missgunst

Ich kenne keine andere Branche, deren tägliches Brot von Neid und Missgunst geprägt ist, wie der deutsche Popschlager. Keiner gönnt dem anderen auch nur das Schwarze unter den Nägeln. Songs werden x-mal kopiert, gecovert oder nachproduziert, um sich anschließend darüber zu streiten, wer den besten Song gemacht hat oder wer “das Original” ist.

Das gilt ebenso für viele sog. “Veranstalter”. Diese kleinen Schlammschlächter, die den Namen “Veranstalter” eigentlich nicht verdient haben und in Wirklichkeit kleine Organisatoren sind, die einen Haufen Möchtegern-Sänger(-innen) zusammenlabern, für kleines (Fahrt-)Geld aufzutreten und hintenraus noch diesen Lieschen Müllers dieser Welt eine Bühne anbieten. Und Lieschen macht dann anschließend – komplett in ihrer Sache bestätigt – ein riesen PR-Fass auf, wie toll und erfolgreich doch der Auftritt in der kleinen Dorfgarage doch war. Echte und gute Events sind mehr als nur eine Bühne mit Tontechnik und einer handvoll Gäste. Eine Top-Veranstaltung ist ein Ganzjahres-Fulltimejob!

“Die Veranstaltung A war cool, aber meine ist besser und darum zeige ich jetzt allen, wie toll ich das kann.”. So oder ähnlich scheinen die Köpfe zu ticken, wenn es darum geht, den Virus von Neid und Missgunst unters Volk zu sprühen. Den Außenstehenden verleitet das alles aber meist zu einem üblen Brechreiz.

3. Copy & Paste

Das schließt sich direkt an Krankheit 2 an und wurde dort bereits erwähnt. Anstatt dass sich Künstler (ich meine hier keine Bildhauer oder Maler) selbst Gedanken machen, eigene Song schreiben und komponieren, sieht man alle Nase lang, wie ein erfolgreicher Titel eines gestandenen Sängers gecovert oder kopiert wird. Helene Fischer´s “Atemlos” oder Anna-Maria Zimmermanns “Tausend Träume weit” kann man eigentlich schon mit 100%iger Sicherheit vorhersagen, wenn Lieschen Müller beim Stadtfest in Pusemuckl am Rhein und Ruhr eine Bühne betritt, sie diese Songs dann vielleicht ganz ok nachgesungen hat und beim ersten eigenen Song auf der Bühne merkt dann selbst der taubeste Rentner, dass das eigentlich nix mehr werden kann.

Zuviele Newcomer haben keine Ideen, keine eigenen Titel und können dadurch auch kein “Typ” werden, den man als Fan gut findet. Wie soll man Lieschen Müller als Sängerin toll finden, wenn sie nur Songs Helene Fischer und Anna-Maria Zimmermann covert. Noch schlimmer: Als deren Double auftritt.

4. Benefiz und Promotion

Wie oft wurde ich damals angefragt, eine Veranstaltung für den Guten Zweck zu moderieren, wo sich im Nachhinein herausstellte, dass es den Guten Zweck eigentlich garnicht gab – oder dieser so verschachtelt verkauft wurde, dass keiner mehr weiß, wer eigentlich der Begünstigte ist. Unzählige Veranstalter suchen sich eine Möglichkeit, einen Guten Zweck zu unterstützen, werben damit, sammeln Sänger und Dienstleister für lulli ein und am Ende wird gespendet. ABER: Nach Abzug aller Kosten 😉 Das ist für mich kein Benefiz, sondern reine Abzocke der Auftretenden und derjenigen, die sich für eine solche Veranstaltung ins Zeug legen. Man versucht kostenlose Leistungen auf die Bühne zu stellen, bezahlt sich selbst aber am Ende zuerst. Das geht garnicht.

Mitunter genauso schlimm ist der Spruch von Auftraggebern “Es ist ja für Deine Promotion” und erwartet gleichzeitig einen kostenlosen Auftritt oder kostenloses Booking. Ich erinnere mich mal an eine Situation, in der man mir eine so unfassbar coole Promotion angeboten hat, die sich final als letzter Rotz rausgestellt hat. Genau genommen erinnere ich mich an 2 Situationen. In der ersten “wirst Du über Nacht in ganz Deutschland bekannt” und in der zweiten wurde mir als Unternehmen eine Zusammenarbeit mit einem renommierten TV-Sender zugesagt. Nur wußte dieser Sender davon nix.

5. Votings und Charts

Also wann immer ich im deutschen Popschlager von “Votings” gehört habe, die einen Talentwettbewerb, Award o. ä. betreffen, musste ich hinterher feststellen, dass immer irgendeiner Mist gebaut hat und eine eigentlich tolle Idee manipuliert wurde. Nur, weil der eigentliche Gewinner vielleicht nicht so ins Konzept passte oder aus “feindlichen Lagern” kommt. Das fing bei der guten Idee des “Schlager Saphir” an und zieht sich bis aktuell zum “RTL West Schlagerhoffnungen 2014” durch.

Damit nicht ein falsches Bild entsteht muss ich an dieser Stelle ergänzen, dass es im letztgenannten Fall garnicht darum geht, dass ein Voting beeinflusst wurde, sondern vielmehr darum, dass im Rahmen eines Votings irgendwas aus dem Ruder gelaufen ist, was vom Betroffenen nach außen hin für die Fans falsch dargestellt wurde. Tatsächlich ist es wohl so, dass die Facebook-Seite dieses Wettbewerbs schnell viele ausländische Fans bekommen hat. Dies ist aber erstens nicht für das Voting relevant und zweitens kann RTL West im Zweifel nichts dafür. Grund: Jeder könnte eine solche Manipulation vornehmen. Nach außen hin wurde das aber recht populistisch an die Fans getragen, die nun an eine Voting-Manipulation glauben, die es garnicht gab und weil ihnen einfach das Fachwissen dazu fehlt.

Besonders ätzend finde ich die täglichen Aufrufe mal hier und da für Lieschen Müller zu voten. Es gibt sicher hunderte von Charts, die der deutsche Popschlager innehat und nichts davon ist “offiziell”. Auch wenn der ein oder andere das so beim Namen nennt, ist letztendlich ausschlaggebende Sache in den Charts nur eine Institution: Media Control. Und dort sind Lieschen Müller und Co. nie zu finden! Stattdessen sprechen diese Möchtegern-Superstars von “Mein Song ist in den Charts” oder “Chartsstürmer Karl Otto” oder “Der Nr. 1 Hit blablabla”. So ein Rotz ist unproduktiv, unehrlich und Selbstbeweihräucherung. Das braucht kein Mensch und wüssten die Fans um solche Umstände, mag ich garnicht darüber nachdenken, ob es dann noch eine echte “Fanbase” gäbe. Diese wird sicher von 10 auf 2 Leutchen schrumpfen.

6. Kostenlos-Mentalität

Im Popschlager scheint es so zu sein, dass jeder Beteiligte irgendwie denkt, alles bekommt man für Nüsse. So will ein Sänger A seine DJ-Bemusterung kostenlos haben, weil ja durch den Megaerfolg des vermeintlichen Hits noch viiiiele andere Sänger kostenpflichtig bemustern werden. Oder Insider B will einen tollen Promotion- & Pressetext verfasst haben, aber ist nicht bereit auch nur 20 Euro dafür zu investieren. Schließlich würde ja die Webseite des Autors auch verlinkt. Andere wollen ein Musikvideo für lau, weil ja der Promotioneffekt so enorm groß ist, dass zahlreiche andere Auftraggeber kommen werden, die dann viele Tausend Euro für Videoproduktionen bezahlen wollen.

Alles Bullshit. Wer glaubt, im Popschlager (und nicht nur hier) gibt es Dienstleistungen oder Produkte (Songproduktionen o. ä.) kostenlos, der sollte sein Vorhaben direkt wieder in die Schublade verschwinden lassen. Denn bei so Hobby-Projekten, kommt genau dieser Bullshit raus.
Hinweis für die Sparfüchse: Geh mal zu Deinem Vermieter oder in den Supermarkt und bezahl dort mit “Es ist doch auch Promo für Dich!”

7. Ein Projekt, aber jeder will verdienen

Gerade bei Veranstaltungen ist es eine abscheuliche Seuche, dass jegliche Dienstleistung mehrfach sub-vergeben wird. Der Veranstalter bucht Sänger über zwei, drei oder vier Ecken und jede Ecke will ein paar Kröten daran verdienen. Der Leidtragende ist damit aber immer der Sänger oder Dienstleister, der nämlich dann unterbezahlt wird, obwohl der Auftraggeber vielleicht sogar den vollen Preis bezahlt. Das fängt beim Künstlerbooking an, geht über technische Dienstleistungen und hört beim DJ-Booking auf. Im letztgenannten Fall ist es immer besonders auffällig und krass.

Da zahlen Veranstalter mal 500€ pro DJ für einen Abend und in der viel zu langen Bezahlkette von Agenturen, DJ-Vermittlern und DJ-Kollegen (die einen Kollegen kennen und den vermitteln) landen dann 100-150€ beim DJ, der den eigentlichen Job macht. Kein Wunder, dass es da soviel Schrott gibt. Es soll sogar Leute geben, die den DJs dann sagen: “Du kannst dafür nix bekommen, aber sei froh hier in der Location auflegen zu dürfen. Es stehen hunderte Schlange, die gerne an Deiner Stelle wären.” – und sich die Kohle selbst einstecken.
Jeder will vom großen Kuchen abhaben, aber die wenigsten sind bereit auch dafür die entsprechende Gegenleistung zu bringen. Schade.

Das sind meine 7 schlimmsten Krankheiten im deutschen Popschlager. Die Liste ließe sich sicher noch weiter fortführen, denn jeder hat eigene Erfahrungen gemacht. Fakt ist aber, dass es viel mehr Schmu als seriöse Leute in dieser Branche gibt. Klar, schwarze Schafe gibt es überall. Der deutsche Popschlager ist eine Herde aus schwarzen Schafen, in der man die guten weißen Schafe nur mit scharfem Blick erkennt. Ich habe diese erkannt und bin trotzdem zum stillen Beobachter geworden. Es lebt sich so viel entspannter.

Der Schmu hört an der Stelle auf, wo Profis in Vollzeit mit Herzblut und Fachwissen arbeiten und wissen was sie wollen. Dort, wo es keine Diskussion darüber gibt, ob eine Dienstleistung oder ein Auftritt Geld kostet oder nicht, sondern eine faire Bezahlung von vornherein klar ist. Über die anständige und pünktliche Bezahlung von Leistungen, die man “einkauft” muss man nicht diskutieren. Alles andere ist unseriös. Den Schuh darf sich jeder anziehen, dem er passt.

Schade um den echten Fan. Der muss bei jeder Veranstaltung vorher prüfen, ob nicht Sänger aus feindlichen Lagern auftreten. Ich habe sogar gelesen, dass es Fans gibt, die Leute aus der Facebook-Freundesliste löschen, weil man nicht Fan ihres Idols ist. Gott sei Dank tun sie das! Man kann nur inständig hoffen, dass es nicht irgendwann Tumulte gibt, wo sich der schwarze Block der Wendler-Ultras* gegen ihresgleichen aufbaut und mit Forken und Harken den eigenen Star verteidigen – oder bekämpfen?!

Es gibt noch eine 8. Krankheit im Popschlager, die man aber mit etwas Selbstbeherrschung einigermaßen gut in den Griff bekommt. Die 8. ist so selbsterklärend wie Ihre Sinnlosigkeit und heisst “Alle Hände in den Himmel”.

Dieser Beitrag ist bereits vor einigen Jahren auf fezz.tv und auch im Printmagazin bei der „DJ-Hitparade“ erschienen. Nichts desto trotz ist der Inhalt immernoch topaktuell. Es hat sich leider nur sehr wenig geändert. Wenige Jahre nach dem Erscheinen dieses Beitrags habe ich das Ganze auch mal in Video-Form angepasst. Das „Kaktus-Modell“ entstand. Viel Spaß beim Schauen.

Den vollständigen Beitrag findest Du hier und wenn Dir Schlager zu krass ist, wie wäre es mit einer schönen 90er-Party?

Marc Wegerhoff (www.fezz.tv)

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert