MATTHIAS REIM hat ein neues Album am Start. Das ist immer eine gute Nachricht. Für seine Fans und für Radioleute, bei denen der Name REIM seit jeher synonym steht für Hits. Aber natürlich auch für alle Popmusik-Affinen, die längst verstanden haben, dass Rock und moderner Schlager lediglich unterschiedliche Seiten derselben goldglänzenden Münze sind. Für Matthias „Matze“ Reim ist die Nachricht aber noch ein bisschen bedeutender, schließt sich mit MR20 doch ein Kreis! Er ist wieder so hungrig auf Musik wie vor bald 30 Jahren, als sein Debütalbum palettenweise aus den Plattenläden gekauft wurde. Damals hatte er mit „Verdammt, ich lieb‘ dich“ einen Megahit gelandet und einen Sinnspruch von bleibendem Wert ins kollektive Gedächtnis gesungen. Seither ist er, der Streitbare, das Boulevard-Futter wider Willen, der Kumpel-Typ, der tatsächlich mehr Kumpel als Superstar-Typ ist, auf der Suche nach dem heiligen Gral in seiner Musik. „Während dieser Suche bin ich auf meinen letzten 19 Alben durchaus auch mal, ohne es zu bemerken, vom Weg abgekommen“, erinnert er sich. „Und doch fand ich immer wieder auf meinen Weg zurück. Die Suche danach gibt mir den Elan, die Magie der Musik, die tief in mir verankert ist, in Songformen zu bringen und mit meinen Liedern Geschichten zu erzählen, die bewegen.“ Musik war für ihn nie ein Job, niemals Routine. Dafür ist sie ihm viel zu wichtig. MR20 bestätigt nicht nur Reim selbst, sondern jedem, der auf deutschsprachige Musik steht, dass immer noch das vielfach mit Gold und Platin prämierte Feuer in ihm brennt. Mehr denn je sogar.
„Als ich das Album aufgenommen, und es in der fertigen Reihenfolge komplett durchgehört hatte, überkam mich zum ersten Mal seit 29 Jahren wieder dieses ‚Wow‘-Gefühl“, erzählt Reim begeistert. „Diesmal hatte sie mir einen leidenschaftlichen Kuss verpasst, die Muse. Ich weiß zwar nicht warum, aber es stecken, jedenfalls für mich, eine Menge ‚magic moments‘ in den neuen Songs.“ Reim spricht von einem „eckigen Kreis“, wenn er MR20 beschreibt. Weil die 12 Titel der Platte nicht in eine Form passen. Doch so grundverschieden sie musikalisch auch sind, spiegeln sie zusammengenommen Reim doch in seiner Gänze. Den Macher. Den Musiker. Den Mann. Und den Fan, der er geblieben ist. Überall auf MR20 setzt er atmosphärische Denkpausen, in denen er seinen Jugendhelden huldigt. Da tauchen mitten in der großen Ballade „Wo ist der Mond“ plötzlich Querverweise an die Glanzzeiten von Pink Floyd auf. Reim, der inzwischen selbst eine lebende Legende ist, von der sich der Nachwuchs allzu gerne inspirieren lässt, hegt und pflegt die Platten seiner Helden in der heimischen Plattensammlung. „Deep Purple und Led Zeppelin“ hat er auf MR20 gleich einen kompletten Song gewidmet. Mitsamt „Miss Megarattenscharf“, dem rostigen R4 und einer Erinnerung: „Schlagerhören war Hochverrat“. Und heute? Reim spielt längst in seiner eigenen Liga, jenseits engstirnig gezimmerter Genre-Grenzen. „Ich besaß auch eine LP von Stefan Waggershausen, die ich allerdings immer versteckte, wenn meine coolen Freunde zu Besuch kamen“, erzählt Reim kopfschüttelnd. „Aus heutiger Sicht war das vollkommen idiotisch, denn ich habe längst kapiert: cool ist was gefällt. Schlager, Pop, Rock – von all dem bin auch ich Fan.“
Musik ist nach wie vor Matthias Reims größte Lebensliebe. Sie hat ihn mindestens so geformt, wie er moderne deutschsprachige Musik mitgeformt hat. In gewisser Weise ist MR20, sein 20tes Album, ein Befreiungsschlag für ihn. Mit einem Panoramablick, der nicht mal den Horizont als Grenze des Möglichen akzeptiert, bündelt er darin, was ihn 2019 ausmacht: fesselnde Stimme, unnachahmliches Songwriting, die Freiheit, auf den Punkt zu bringen, was er sagen will, packend erzählte Geschichten. Wahrhaftig und Ungeschminkt. Apropos. Retuschierte Fotos und Make-Up? Geschenkt! Matthias Reim ist wie er ist. Seine Lebenslinien, seine Seelenwunden hat er längst in Gold gegossen, weil Narben und Wunden erst wahrlich formvollenden. Heute ist er ein Mensch, der lieber Ansagen macht als im Grübeln über dem Zustand der Welt zu versinken. Ansagen wie „Eiskalt“ und „Tattoo“, stehen mit einem Bein im Pop-Schlager, mit dem anderen im Storytelling. Aber es ist bei Weitem nicht alles schnell und partytauglich auf MR20. „Dezember“, die ganz große Ballade des Albums, erzählt mit einnehmender Symbolsprache – Aufbruch, Einsamkeit, Kälte, ein zunächst ungeöffneter Brief – von der Rückbesinnung auf Werte. „Stärker“, die Ode ans Wir, steckt knietief im Folkrock. Reims „Problem“ kennt jeder: die Chemie stimmt, die Lust steigt, die gegenseitige Anziehungskraft grenzt an Magie, aber die Beziehungsperspektive geht gen Null. Ein Kuss, ein Herzschlag, ein gebrochenes Versprechen, das wie ein Boomerang zurückkommt, und mitten ins Zentrum der Reue trifft – das ist „Karma“, ein halbgesungenes, halb gerapptes Duett mit Sarah Fresh.
In einer frisch aufgenommenen, rockigen Reim-Version ist „Nicht verdient“, das Duett mit Michelle, neu zu erleben. „Großes Kino“ beschließt MR20 mit Reims charakteristischem Glauben an die Liebe optimistisch. Und bunt. „Bunt“, sagt Matthias Reim, „hätte auch ein Titel für das neue Album sein können, wenn er nicht so plakativ wirken würde. Mir geht’s blendend, die Sonne scheint wieder sehr oft für mich, sowohl privat wie auch in meiner gefühlten Berufung als Musiker. Ich darf seit mehr als 30 Jahren Songs schreiben, die viele Menschen berühren, ich darf mich in Texten ausdrücken und Gefühle mit anderen Menschen teilen. Mein Leben ist bunt, und MR20 trägt diesem Empfinden mit vielen unterschiedlichen Stilen unbedingt Rechnung. Tiefpunkte gibt es in jedem Menschleben. Ich bin aus meinen Tiefs gestärkt hervorgegangen. Vom Mut, zu sich selbst zu stehen, und nach dunklen Momenten auch wieder das Licht ins Leben zu lassen, erzählt mein neues Album. Ich lade jeden herzlich dazu ein, reinzuhören.“ Da soll nochmal jemand behaupten, Musik verliere an Bedeutung! Matthias Reim hat Lust auf Musik, Lust aufs Leben, Lust aufs Feiern, Lust aufs Verrücktsein. Wie immer eigentlich. Nur intensiver.